Aufgrund der Privatsphäre unserer Klienten verzichten wir hier auf Fotos und nähere Beschreibungen.

 

Bei Fragen oder Interesse am Therapeutischen / Heilpädagogischen Reiten und Voltigieren, wenden Sie sich bitte an:

 

Corinna Müller-Weidemann (2. Vorsitzende),

 

Dipl.-Sozialpädagogin/-Sozialarbeiterin; Reitpädagogin DKThR; Trainer C Reiten; Sportassistent Voltigieren; Berittführer

E-Mail: Corinna.Mueller-Weidemann@beiserhaus.de

 

Therapie mithilfe von Pferden - Grundlegendes

„Wer immer in den Sattel steigt,

er wird erzogen werden –

zum Leben und zum Menschen“

(Clemens Laar)

 

Pferde besitzen, nicht nur gegenüber Kindern, einen hohen Aufforderungscharakter. Sie werden in Filmen und Büchern als „treue Kameraden“, „Helden“ etc. dargestellt. Wer hat sich nicht schon mal einen Freund wie „Fury“ gewünscht? Oder begehrte, seine Ferien auf dem „Immenhof“ verbringen zu können? Einmal wie „Bibi und Tina“ ein Wettrennen reiten oder auf dem Rücken von Pippi Langstrumpfs „Kleinem Onkel“ ein Abenteuer erleben?

 

Menschen assoziieren mit Pferden Eigenschaften wie Stolz, Anmut, Eleganz, Kraft oder Schönheit. Gleichermaßen wird Pferden Treue, Intelligenz und Arbeitseifer zugeschrieben. Der Kontakt mit einem Pferd ist für viele Menschen erhebend und respekteinflößend zu gleichen Teilen.

 

Pferde sind Herden-, Flucht- und Steppentiere. Letzteres ist kennzeichnend für ihre Fress- sowie Schlafgewohnheiten und erklärt ihren ausgeprägten Bewegungsdrang. Somit sind die damit verbundenen Eigenschaften nicht primär ausschlaggebend für ihren Einsatz in der Therapie. Für die artgerechte Haltung eines Therapiepferdes kommt diesem Punkt jedoch eine erhebliche Bedeutung zu.

 

Die sympathische Natur des Pferdes regt den Menschen zur Interaktion mit ihm an. Es ist unaufdringlich, scheu und durch seine Grundstruktur des Fluchttieres niemals offensiv aggressiv. Gleichzeitig ist es neugierig und sucht den Kontakt, durch das Leben im Herdenverband begründet sich seine gut entwickelte soziale Kompetenz.

 

Im Laufe der letzten 5000 Jahre – seit der Mensch Pferde züchtet und nutzt – erlangte das Pferd große emotionale und soziale Anerkennung. Vermutlich ist es sogar das geachtetste aller Tiere. Anmut und Eleganz vereinen sich mit der Bereitschaft, dem Menschen treu ergeben zu dienen. Schon seit Jahrhunderten gilt als sozial höhergestellt, wer sich ein Pferd halten kann. Feldherren, Kaiser und Könige ließen sich hoch zu Pferd portraitieren, um ihr Macht zu verdeutlichen.

 

Nicht so sehr diese hohe soziale Stellung des Pferdes, als vielmehr seine physische Größe spielt in der pferdegestützten Therapie eine Rolle. Wer sich einem derart großen Tier nähert, Kontakt zu ihm aufnimmt und sich womöglich auch noch von ihm tragen lässt, hat eine wichtige Erfahrung gemacht. Die Erfahrung des Dialogs des „kleinen Menschen“ mit dem „großen Pferd“ ist ein bedeutender Aspekt in der pferdegestützten Therapie. Nur, wer diese Erfahrung einmal gemacht hat, weiß um ihre Dimension.

 

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit soll verdeutlichen, wie lange das Medium Pferd in der Medizin schon eine Rolle spielt.

 

Bereits Hippokrates (460-370 v. Chr.) schätzte den „heilsamen Rhythmus“ des Pferdes zur Gesunderhaltung von Körper und Seele des Menschen. Annähernd zur gleichen Zeit verfasste der griechische Feldherr Xenophon (430-354 v. Chr.) seine Werke „Über die Reitkunst“ und „Der Reitoberst“. Er beschrieb bereits den erzieherischen Wert des Umgangs mit Pferden. Er war der Meinung, die Reitkunst stelle hohe Anforderungen an die Disziplin des Reiters. Klugheit, Besonnenheit, Mut und Übersicht in allen Lebenslagen sei bezeichnend für einen guten „Reitführer“. Xenophons Werke gelten noch heute als Fundament der Reitwissenschaft.

 

Im 16. Jahrhundert fertigte Hieronymus Cardanus (1501-1576) seine diätische Schrift „De sanitate tuenda“ an. Darin empfiehlt er das Reiten, weil es dabei nötig sei, dass die Glieder möglichst vielseitig bewegt würden. Auch im 18. Jahrhundert galt das Reiten als „heilsames Exercitium“ im Rahmen einer sinnvollen Gesundheitspflege. So schrieb der Arzt Wilhelm Tissot im Jahr 1777 in seiner Schrift „Die Gesundheit des Menschen und die Oeconomie des Leibes…“: „Die mäßige Bewegung zu Pferde erhält die Gesundheit, stärkt schwache und zärtliche Personen, beugt der Schwindsucht vor und heilt die Stiche in der Brust, die Mutterbeschwerung und Hypochondrie…“ Seine Empfehlung lautete: jeden Tag vor dem Mittagessen drei Stunden reiten!

 

Im 19. Jahrhundert geriet das Reiten als Medium in der Medizin in Vergessenheit, erst im Jahr 1904 stellte der Neuropsychiater und Neurochirurg Ottfried Foerster auf einem Ärztekongress das Reiten als Therapie vor. Die beiden Weltkriege taten ihr Übriges und so rückte das Reiten als Therapie erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges in das Interesse der Medizin.  In Bad Malente-Gremsmühlen begann ein Chefarzt nach dem Zweiten Weltkrieg, das gestörte Gleichgewicht von einseitig beinamputierten Menschen durch den Einsatz von Pferden in den Rehabilitationsmaßnahmen wieder aufzubauen.

 

Dr. med. Max Reichenbach begann Mitte der 1950er Jahre im oberfränkischen Birkenreuth, das therapeutische Reiten systematisch zu erproben und zu erforschen. Er prägte den Begriff „Reiten als Therapie“ und kann als ein Pionier der modernen Reittherapie bezeichnet werden. In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. H. Bünte und Prof. Dr. H. Beck veröffentlichte er 1973 das Buch „Reiten als Therapie“, welches eines der Grundlagenwerke in diesem Bereich ist.

 

Zwar war anfangs der Einsatz des Pferdes im medizinisch-orthopädischen Bereich stärker verbreitet, doch konnte Antonius Kröger bereits im Jahr 1969 erstmals seine Forschungsarbeiten über den Einsatz von Pferden zu heilpädagogischen Zwecken publizieren. Seine wegweisenden Erkenntnisse über den persönlichkeitsbeeinflussenden Wert des Einsatzes von Pferden in der Arbeit mit lern- oder verhaltensauffälligen Kindern ließen ihn zum „Vater des heilpädagogischen Voltigierens“ werden. Das von ihm entwickelte Konzept der „sachorientierten Partnerschaft“  bildet seiner Meinung nach das Fundament des heilpädagogischen Voltigierens und Reitens.

 

Ein wichtiger Gesichtspunkt des therapeutischen Reitens ist die Ganzheitlichkeit. Beim – therapeutischen – Reiten wird der Mensch ganzheitlich angesprochen: neben körperlichen und motorischen Prozessen werden auch kognitive, emotionale und soziale Bereiche angeregt. Doch was bedeutet „Reiten“? Wie werden dabei die Sinne angeregt, wie wirkt sich Reiten auf den Organismus des Reitenden aus? Welche Erlebnismöglichkeiten eröffnen sich dem Reiter? Für jemanden, der noch nie auf einem Pferd gesessen hat, ist die phantastische Wirkung des Reitens schwer nachzuvollziehen. Jochen Schmidt hat in sieben Sätzen eine Charakterisierung des Reitens formuliert, die auch einem Nicht-Reiter das „Erlebnis Reiten“ näher bringen können:

 

„Reiten ist: intensive, rhythmische, harmonische Bewegung des ganzen Körpers – und schon deshalb eine therapeutische Kostbarkeit.

 

Reiten ist: außengesteuerte, das heißt nicht eigene Bewegung, ist Bewegung, der sich der Reitende überantworten muß, die erst dann als wohltuend empfunden wird, wenn die eigene Bewegung, die Eigenmächtigkeiten gelöst, aufgelöst werden in einem Rhythmus, der vorgegeben wird, dem man sich überlassen kann – eine unschätzbare therapeutische Möglichkeit für den ständig um sich selbst kreisenden Menschen.

 

Reiten ist: in der Bewegung vertraut werden mit einem Tier, das heißt, mit einem natürlichen Geschöpf, einem dienenden, tragenden und doch nicht auf den Reiter hin gemachten, einem eigenständigen, in Dienst genommenen – ein therapeutisches Erlebnis in Beherrschung und Rücksichtnahme zugleich.

 

Reiten ist: sich tragen lassen, mit einem Ziel und Weg und dennoch in dem Bewußtsein, auch überantworten zu können, nicht ständig die Zügel festzuhalten, sondern zu korrespondieren – ein mitteilsames, dialektisches Medium.

 

Reiten, das ist auch ein sich Aussetzen dem Unberechenbaren und sich Anpassen, Bewältigen, Steuern, Einfühlen, – und somit ein Erfahren von Gefaßtsein.

 

Der Reitende ist auf dem Weg zur Selbstbehauptung und Selbstsicherheit, zu Selbstvertrauen und Selbstsein, und das in ständiger Zwiesprache des Angewiesenseins – eine einzigartige Einübung in die Vermenschlichung des Alltags, auch im Beruf.

 

Reiten, das ist Haltung haben, Haltung, wie sie die Situation erfordert und die Belastung des Tieres erlaubt; Haltung nicht um ihrer selbst willen – erst das ist menschliche Haltung“

 

 

 

 

 

 

Quellennachweis:

 

Bünte, Hermann; Beck, H.; Reichenbach, Max.: Reiten als Therapie; Band 3 aus der Reihe: Beiträge zur Sportmedizin; Erlangen: Perimed-Verlag Dr. D. Straube [u.a.]; 1972

 

Kröger, Antonius (Hrsg.): Partnerschaftlich miteinander umgehen; Warendorf: FN-Verlag der Deutschen Reiterlichen Vereinigung GmbH; Neuauflage 2005

 

Kupper-Heilmann, Susanne: Getragenwerden und Einflußnehmen: aus der Praxis des psychoanalytisch orientierten heilpädagogischen Reitens; Band 6 der Reihe „Psychoanalytische Pädagogik“; Gießen: Psychosozial-Verlag; 1999